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Lebensskizzen und Tagebücher

Kleine Skizzen, Notizzetteln gleich. Ein paar Worte, Fragmente. Überlebenswichtig und für uns Zeugnisse einer Zeit, die wir uns kaum vorstellen können.

Auf unserer Urlaubsreise war es uns ein Anliegen in Bergen-Belsen anzuhalten und uns Zeit zu nehmen. Schon die Adresse fürs Navi ruft Erinnerungen wach, an ein Mädchen, ein Tagebuch, das Generationen und Nationen bis heute lesen. Ich selbst las ihre Gedanken vor Jahren auf einer Zugreise. Zwischen den Welten. Anne-Frank-Platz geben wir ein und kommen am heißesten Tag des Monats am späten Vormittag dort an. Noch vor der Ausstellung halten wir im Buchladen inne. Mehr als ein Tagebuch finden wir dort. Nicht nur von der jungen Anne. Männer wie Frauen schrieben ihr Erleben nieder, hielten ihre Eindrücke fest, berichteten von ihren Gedanken und Gefühlen. Schrieben ihre Geschichte. Das Tagebuch einer jungen Französin werde ich mit nach Hause nehmen. Auch ein zweites Buch mit biografischen Skizzen kaufen wir: Menschen in Bergen-Belsen.

Da, wo heute Pflanzen grünen, das Leben summt, die Schmetterlinge tanzen, zeugen Steine, ein paar Worte und Zahlen vom Leben so unzähliger Menschen. Menschen lebten, litten, starben hier. Manche ohne Namen, andere prominent. Manche überlebten. Alle hatten ihre Geschichte. Gedanken. Gefühle. Was mich berührt sind die Texte und Bilder, die einige hinterlassen haben. Sie hielten Erinnerungen und Gedanken fest, teilten sie uns heute mit, nehmen uns mit in ihre Zeit, ihre Gegenwart, ihr Leben. Dankbar bin ich für Menschen, die diese Texte veröffentlichten, zuvor aufbewarten, sie wertschätzten. Wieder neu, und bestärkt an diesem Ort, weiß ich, wie wichtig es ist zu schreiben und zu malen. Tagebücher, Skizzen, Impressionen. Für mich. Für andere. Für die Nachwelt. Und ja, ich möchte es hinausrufen: schreibt! Immer. Eure Geschichte. Wenn auch nicht viel, wie auch immer: schreibt!

Kinder malten, was sie sahen. Keine Kunstwerke in bunten Farben, meist ein Stift, eintönig, einfach, doch die Bilder sprechen eine Sprache, die unter die Haut geht. Sie malten, was sie sahen und zeigen uns, was wir heute hier nur ahnen können. Menschen, die in Bergen-Belsen zum Schweigen kamen, weil ihnen das Leben genommen wurde, haben Tagebücher und Aufzeichnungen hinterlassen. Texte kamen manchmal erst über Umwege ans Licht, doch schenken sie den Menschen bis heute ihre Sprache und öffnen uns Augen und Ohren – wenn wir denn lesen und hinsehen.

In der Hitze des Tages, mit Mundschutz bekleidet, haben wir keinen langen Atem die Ausstellung ins Detail zu betrachten. Doch bevor wir die Ausstellung verlassen, berührt mich die Plastik der trauernden Frau in weiß. Wie so viele Geschichten und Leben der Menschen an diesem Ort, ist auch sie gezeichnet durch Risse und Brüche. Als Denkmal wurde sie errichtet, als Ausdruck von Gefühlen, einem tiefen Schmerz. Ob Worte, ob Bilder, ob Plastik – dem Leben Ausdruck zu geben, dazu bin ich mehr als ermutigt an diesem Ort.

Ermutigt bin ich, nicht nur das eigene Leben zu betrachten, sondern mehr denn je die Umwelt wahrzunehmen und wachen Auges zu betrachten, zu beschreiben, was die Gegenwart ausmacht. Zeitzeugin zu sein. Die junge Französin, von der ich jetzt lese, begann zu schreiben, bevor ihr der Stift genommen wurde. Annes Tagebuch blieb in Amsterdam und wurde ihrem Vater erst nach Kriegsende übergeben, von ihm dann veröffentlicht. In mehr als 70 Sprachen fand es Verbreitung. Als Anne das Tagebuch zu ihrem 13. Geburtstag geschenkt bekam, fing sie an ihr Tagebuch zu schreiben. An Veröffentlichung und Weltliteratur hat sie dabei zunächst nicht gedacht. Sie schrieb: aus dem Leben und Erleben. Ihre Geschichte.

Als wir über das Gelände gehen, sehe ich immer wieder zum Himmel. Er ist blau. Ein paar weiße Wolkenspuren zieren das Bild. Er ist blau. Wie vielleicht an manchen Tagen damals auch. Gott lässt die Sonne scheinen über Böse und Gute (Mt 5,45) geht mir durch den Kopf. Die Landschaft ist schön. Heute erinnern die Bäume und Wiesen eher an einen Park als an ein Lager. Doch was macht das Besondere dieses Ortes aus? Die Menschen, derer gedacht wird. Auch die namenlosen Gräber sprechen von Leben, das hier gelebt wurde. Die tausenden Toten – Zahlen erinnern an Leben. Menschenleben. Lebende erinnern an Eltern und Großeltern. Grabsteine bezeugen ihr Leben. Mir wird bewusst, dass Anne, die mir als Jugendliche zum Beispiel wurde, gerade mal 17 Monate älter war als meine Mutter. Die eine reiste in die Kinderlandverschickung, die andere ins KZ. Die eine wurde in Sicherheit gebracht, die andere in den Tod.

Zwei junge Frauen, die den Krieg erlebten. Perspektiven, Chancen, Blickwinkel, Lebensentwürfe, die verschiedener nicht hätten sein können. Meine Mutter schickte Erinnerungsfotos in die Heimat, falls sie nicht wiederkäme. Anna hatte Hoffnung auf ein Leben als Journalistin und schrieb ihr Leben, ihr Tageserleben, in der Hoffnung auf das Leben.

Während ich die Wege gehe, hinsehe und betrachte – bleiben wir nicht nur stehen, schweigen, reden, beten. Meine Gedanke gehen auch zu den Familien, bewegen mich die Geschichten der Kinder, wessen auch immer – und ich denke an meinen Onkel mit seiner Geschichte bei der SS. Aus Neugier war ich gestolpert – über Steine für Dabeigewesene und las in den letzten Monaten mehr, als mir vorher bewusst war. Auch da bin ich dankbar für Texte, Tagebücher, Notizen und Briefe. Weil ich sie lesen kann. Heute. Und mir selbst ein Bild machen kann. Lesen. Hören. Schweigen. Schreiben.

Menschen in Bergen-Belsen, biografische Skizzen – wir lesen sie und sie inspirieren uns zum Schreiben: Texte, Briefe, Tagebuch. Und an diesem sonnigen Tag in Bergen-Belsen bin ich selbst Mensch an diesem Ort, mit meiner Geschichte, meiner Familie, meinen Gedanken und Gefühlen. Hinzusehen ist gut. Erinnern ist wichtig. Leben geschieht jetzt. Heute. Und an einem Ort wie diesem ist mir bewusst, dass auch ich Geschichte schreibe. Meine Geschichte schreibe. Spuren hinterlasse. Darum gilt es zu schreiben und das Leben zu zeichnen, damit auch andere Inspirationen finden und sich ihr Bild machen können – wenn sie denn lesen und hinsehen.

Und ich gehe weiter. Ins Leben. Und schreibe meine Skizze. Mein Tagebuch.